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Ein Klima der Offenheit
DIVERSITY Die Forderung nach divers besetzten Teams ist nicht neu. Doch die nachrückenden jungen Generationen machen Druck: Sie wollen, dass Vielfalt und selbstbestimmte Teilhabe aller im Job keine leeren Versprechungen bleiben. Wie Diversity gelingen kann.
Blickt man in die Welt des Marketings, ist Diversität offenbar schon seit Jahrzehnten Normalität in der Arbeitswelt: Kaum eine Unternehmensbroschüre, Unternehmens-Website oder Recruiting-Optik ohne erkennbar diverse Teams. Das reicht von unterschiedlichen Hautfarben über weibliche Führungskräfte bis hin zu generationenübergreifenden Meetings – schöne neue Welt des unbeschwerten Miteinanders. Diversity jedoch nicht nur plakativ, sondern in Zahlen und Fakten abzubilden, ist schon deutlich schwieriger. Und sie gar umzusetzen im eigenen Unternehmen ist offenbar noch herausfordernder: Das lässt jedenfalls das breite Angebot entsprechender Weiterbildungen und Unternehmensberatungs-Portfolios vermuten. Neben konkreten HR-Maßnahmen, die zum Beispiel darauf abzielen, die Zielgruppenansprache bereits bei einem Erstkontakt mit potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern deutlich zu erweitern, geht es hier in erster Linie um Kopfarbeit: Denken wir überhaupt schon divers?
Charta der Vielfalt
Eine berechtigte Gegenfrage könnte lauten: Was ist denn überhaupt divers? Eine umfassende Antwort gibt zum Beispiel die „Charta der Vielfalt“, die als „Arbeitgebendeninitiative“ im Jahr 2006 von vier Unternehmen ins Leben gerufen wurde, um die Vielfalt in Unternehmen und Institutionen zu fördern. Längst hat die Initiative einen festen Platz im Diskurs um mehr Diversität am Arbeitsplatz, seit 2010 ist sie ein gemeinnütziger Verein mit derzeit Bundeskanzler Olaf Scholz als Schirmherr. Sieben „Vielfaltsdimensionen“ oder auch Diversity-Dimensionen werden aufgeführt und erklärt, um das Thema greifbar zu machen. Aber auch, um die Komplexität zu verdeutlichen, denn mit der Benennung eines Merkmals ist es nicht getan.
Was uns einzigartig macht
Die sieben „Kern-Dimensionen“ sind demnach Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft. Am Beispiel des letztgenannten Merkmals lässt sich aufzeigen, welche Implikationen allein dieses Kriterium mit sich bringt und welche Möglichkeiten Unternehmen haben, damit gewinnbringend umzugehen – für die Personen selbst, für die Teams und, nicht zuletzt, für den eigenen Unternehmenserfolg. Statistiken zeigen, das erläutert die Initiative, dass die soziale Herkunft nach wie vor starken Einfluss auf Bildungs- und Arbeitsmarktchancen habe: „Oft haben Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht keinen Zugang zu Ressourcen wie etwa Netzwerke, Vermögen, Bildung oder gesellschaftliche Macht. Dadurch erreichen viele Arbeitnehmende keinen für ihre Talente und Fähigkeiten angemessenen Arbeitsplatz.“ Organisationen könnten dieses Potenzial nun beispielsweise nutzen, indem sie die Erfahrungen und Kompetenzen von Menschen, denen ein Aufstieg gelungen ist, einsetzen. Zum Beispiel ihre dabei erworbene Durchsetzungsstärke oder Anpassungsfähigkeit, den Zugang zu verschiedenen Zielgruppen und nicht zuletzt die Fähigkeit, sich womöglich leichter in Menschen aus unterschiedlich sozialen Gruppen hineinversetzen zu können.
Eigenes Diversity Management
Wie sich so ein heikles Thema wie soziale Herkunft in das eigene Diversity Management einbeziehen lässt, auch dafür gibt die Initiative Anregungen und empfiehlt Mentoring-Programme, spezielle Ausbildungsgänge, soziales Engagement für Menschen aus anderen Bildungsschichten, Förderung von Institutionen, die genau diese Thematik im Fokus haben (zum Beispiel Kindergärten, die auf eine Mischung sozialer Herkünfte achten) oder eine Zusammenarbeit mit Unternehmen bzw. Organisationen, die mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Herkünften arbeiten (Beispiel Catering).
Eine Urkunde als Selbstverpflichtung
Unternehmen, die sich mehr Diversität vorgenommen haben, stehen zunächst vor der Aufgabe, das Thema in die eigene Belegschaft zu transportieren und in den eigenen Reihen Unterstützung zu mobilisieren. Dabei will die „Charta der Vielfalt“ mit einer Urkunde helfen, die in sechs Punkten zusammenfasst, wie Diversity in einem Unternehmen umgesetzt werden kann und welche Weichenstellungen dafür notwendig sind – in der Personalpolitik zum Beispiel, aber auch in der internen und externen Kommunikation oder in der Unternehmenskultur. Über das Benchmarking-Tool „Global Diversity and Inclusions Benchmarks“ soll es Organisationen jeder Größe und Branche außerdem ermöglicht werden, die eigenen Aktivitäten auf ihre Wirkung hin zu überprüfen.
Engagement sichtbar machen
Die mittlerweile knapp 40 Mitglieder des Vereins Charta der Vielfalt lesen sich wie ein Who-is-Who der deutschen Wirtschaft. Auf der Website wird jedes Mitglied mit Eintrittsdatum, Motto und eigenen Aktivitäten in Sachen Diversity präsentiert, was durchaus ein Wettbewerbsvorteil im War for Talents sein kann. Das gilt sicher auch für die aktuell 4600 Unternehmen quer durch alle Größenordnungen und Branchen, die die Charta bislang unterzeichnet haben.
Denn für immer mehr Menschen, vor allem aber für die jüngeren Generationen, sind Wertehaltung und soziales Engagement des Arbeitgebers konkrete Kriterien bei der Job-Auswahl. Der Fachkräftemangel versetzt sie darüber hinaus in die angenehme Lage, wählen zu können: Vertritt mein zukünftiger Arbeitgeber meine Vorstellung von einer diversen (Arbeits-)Welt?
HR heißt jetzt „People and Culture“
Ein Unternehmen, das den „Shift“ von der klassischen Personalarbeit zu einem werteorientierten Umgang mit Mitarbeitenden bereits in die eigene Kultur übernommen hat, ist die Full-Service PR-Agentur Piabo mit Hauptsitz in Berlin. Daniela Harzer, Chief Operating Officer bei Piabo, betont in einem Podcast, dass Diversity für sie ein wichtiger Aspekt von new work ist: „Der Fokus liegt auf werteorientiertem Handeln, Selbstverwirklichung und Teilhabe an der Gesellschaft.“ In der eigenen Agentur mit knapp 120 Mitarbeitenden, die meisten am Standort Berlin, andere in Hamburg, München und Coworking-Places in weiteren Städten, werde das Thema immer mitgedacht und mit konkreten oder indirekten Maßnahmen angepackt. Flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeit-Karrieren, paritätisch besetzte Unternehmensführung, unterschiedliche Führungs-Tandems, genderinklusive Sprache, interne Communities und Schulungen in Diversität, eine Kultur des Vertrauens, das alles gehört zum „Diversity Management“. Ihre Kollegin Stephanie Stein, Senior Communications Consultant am Hauptstandort in Berlin, erklärt, was es damit bei Piabo auf sich hat. „Wir haben nicht diese eine Person, die sich über das Thema Diversity den Kopf zerbricht. Es ist vor allem unsere sehr offene, wertschätzende Kultur, die Diversität möglich macht. Das ist vielleicht die wichtigste Voraussetzung.“
Vielfalt durch kleine Veränderungen
Diversity nicht verordnen, sondern ermöglichen, das ist ihre Botschaft an andere Unternehmen, die mehr Vielfalt in den eigenen Reihen wollen. Das kann durch viele kleine Veränderungen gelingen, zählt sie auf: Raum schaffen für Gespräche, auch über die eigene private Situation und dabei aber auch respektieren, wenn jemand nicht erzählen möchte; das Engagement für Interessengruppen fördern – „wir haben eine LGBTQ-Gruppe“; klarmachen, was Diversity der Gesamtheit bringt, auch wenn man sich selbst nicht zu einer betroffenen Gruppe zählt; in den regelmäßigen Feedback-Gesprächen nicht nur Leistungen und Ziele besprechen, sondern auch abfragen, wie man sich fühlt im Team, im Unternehmen. „Wir schauen außerdem immer rechts und links, wie es andere Unternehmen machen, denn wir wollen lernen, lernen, lernen. Es gibt keinen Zeitpunkt X, nach dem Motto, ‚jetzt sind wir divers, jetzt haben wir es geschafft.‘“ Außerdem habe man nicht den Anspruch, die „ganze Agenda“ allein zu bewältigen. Weiterbildung, Erfahrungsaustausch und Foren für Diversity-Strategien gibt es zahlreiche, Know-how einkaufen mache auch in diesem Punkt durchaus Sinn.
Ständiges Weiterentwickeln, viel kommunizieren, immer wieder neue Perspektiven einnehmen und als Arbeitgeber versuchen, einen Ort zu schaffen, an dem sich alle wohlfühlen können – „das ist die beste Voraussetzung für gelebte Diversität.“